Wissenschaftliche Vorstudien
Um zu überprüfen, ob Online-Selbsthilfe bei der Behandlung von problematischem Glücksspielverhalten wirksam ist, haben wir mehrere groß angelegte randomisierte kontrollierte Studien durchgeführt (Bücker, Bierbrodt, Hand, Wittekind & Moritz, 2018; Bücker, Gehlenborg, Moritz & Westermann, 2021; Rolvien, Buddeberg, Gehlenborg, Borsutzky & Moritz, eingereicht; Wittekind, Bierbrodt, Lüdecke, Feist, Hand & Moritz, 2019).
Randomisiert = Die Zuordnung der Teilnehmer:innen zu den Gruppen (Studien- oder Kontrollgruppen) erfolgte nach dem Zufallsprinzip. Kontrolliert = Die Ergebnisse der Studiengruppen werden mit denen der Kontrollgruppe verglichen. Dieses Forschungsdesign bringt Erkenntnisse darüber, ob eine eventuelle Verbesserung in der Betroffenen- bzw. Retraining-Gruppe auf die Maßnahme selbst zurückgeht oder möglicherweise andere Faktoren wie z.B. Spontanheilung widerspiegelt.
In der durchgeführten Vorstudie ging es darum, herauszufinden, ob eine Teilgruppe von Menschen mit Glücksspielproblemen von einem Online-Programm profitiert, das emotionale Probleme adressiert. Außerdem wurde in einer anderen Teilgruppe untersucht, ob das Glücksspielverhalten durch das sog. Retraining wieder „verlernt“ werden kann. Vor und nach der Durchführung des Programms durch die Teilnehmer:innen (8 Wochen später) wurde die Symptomatik bestimmt. Nach Ablauf der 8 Wochen konnte in der Gruppe, die das Online-Programm erhalten hatte, erwartungsgemäß eine Reduktion der depressiven Symptomatik gefunden werden. Gleichzeitig nahm auch die glücksspielbezogene problematische Symptomatik überzufällig (d.h. statistisch signifikant) ab. Hierbei handelt es sich z.B. um die Häufigkeit der Gedanken an das Spielen und den Drang zu spielen. Die Ergebnisse zu diesem Teil der Studie (Online-Programm für emotionale Probleme) wurden im Fachjournal PloS one veröffentlicht (Bücker, Bierbrodt, Hand, Wittekind & Moritz, 2018). Beim Retraining zeigte sich ebenfalls eine überzufällige Verbesserung des Spielverhaltens gegenüber der Wartekontrollbedingung. Die Studienergebnisse zum Retraining-Programm wurden im Fachjournal Psychiatry Research veröffentlicht (Wittekind, Bierbrodt, Lüdecke, Feist, Hand & Moritz, 2019). Wie wir im Menüpunkt Team unter Finanzierung darstellen, wurde diese Studie von der Automatenwirtschaft gefördert, nachdem öffentliche Geldgeber an der Studie zwar Interesse zeigten, aber keine Finanzierung zustande kam.
Das aktuelle Selbsthilfeprogramm baut auf den Erkenntnissen der Vorstudie auf und bietet allen Interessierten eine Inanspruchnahme beider Methoden (Retraining und Online-Behandlungsprogramm „Neustart“) an, zu denen sie nach einer Online-Eingangsuntersuchung Zugang erhalten.
Auch zur Evaluation von „Neustart“ wurden randomisierte kontrollierte Studien durchgeführt. In einer ersten Studie wurde die erste Version des Programms in einer Stichprobe von 150 Personen mit einer selbstberichteten Glücksspielsymptomatik untersucht. In dieser Studie zeigten sog. Moderationsanalysen, dass die Personen, die „Neustart“ nutzten und höhere Glücksspiel- und depressive Symptome sowie ein höheres Alter und komorbide Angstsymptome hatten, eine signifikante Verbesserung im Vergleich zu einer Wartekontrollgruppe zeigten. „Neustart“ wurde zudem positiv bewertet (z.B. empfanden 96,5% das Programm als nützlich). Der Artikel zur Studie wurde im Fachjournal Scientific Reports veröffentlicht (Bücker, Gehlenborg, Moritz & Westermann, 2021).
Eine weitere kürzlich durchgeführte Studie untersuchte eine optimierte Version von „Neustart“. Programmerweiterungen beinhalteten zwei neue Module (Motivationsaufbau und Sportwetten), ein neues Layout und Charaktere, die die Nutzer:innen mithilfe von kleinen Fallbeispielen und Illustrationen durch das Programm begleiten. Zusätzlich wurde „Neustart“ durch die Smartphone-App COGITO ergänzt, die begleitend und ebenfalls kostenlos und anonym genutzt werden kann. Die Studie zu dieser verbesserten Version von „Neustart“ umfasste eine große Stichprobe von 245 Personen mit Glücksspielproblemen. Die Ergebnisse zeigten eine signifikante Verbesserung von Glücksspielsymptomen, glücksspielspezifischen Denkmustern und depressiven Symptomen mit mittleren bis großen Effekten. Der Artikel zur Studie wurde bei einem Fachjournal eingereicht und wird hier verlinkt, sobald er veröffentlicht ist.
Publikationen
Bücker, L., Bierbrodt, J., Hand, I., Wittekind C. & Moritz, S. (2018). Effects of a depression-focused internet intervention in slot machine gamblers: A randomized controlled trial. PloS one, 13(6), e0198859.
Bücker L, Westermann S, Kühn S, Moritz S. (2019). A self-guided Internet-based intervention for individuals with gambling problems: Study protocol for a randomized controlled trial. Trials, 20(1), 74.
Bücker, L., Gehlenborg, J., Moritz, S. & Westermann (2021). A randomized controlled trial on a self-guided Internet-based intervention for gambling problems. Scientific Reports, 11, 13033.
Rolvien, Buddeberg, Gehlenborg, Borsutzky & Moritz (eingereicht). A self-guided internet-based intervention is effective in reducing gambling symptoms: Results of a randomized controlled trial.
Wittekind, C. E., Bierbrodt, J., Lüdecke, D., Feist, A., Hand, I., & Moritz, S. (2019). Cognitive bias modification in problem and pathological gambling using a web-based approach-avoidance task: A pilot trial. Psychiatry Research, 272, 171-181.